Sonntag, 18. Januar 2015

Großer Herr und starker König



Versuchen Sie es mal als Kunde! Fassen Sie sich ein Herz, gehen Sie zu einem Verkäufer, einer Verkäuferin und stellen Sie sich dem Kundesein. Bejahen sie mit aller enthusiastischer Bedenkenlosigkeit, zu der Sie fähig sind, diesen Satz: „Ich bin ein Kunde/eine Kundin.“ Sie werden sehen – es funktioniert und Sie werden neugeboren als König oder Königin. Sie werden eintreten und zuerst einmal werden Sie angenommen. So wie sie sind. Wenn sie das Kundesein bejahen, dann wird man Sie bejahen. Man wird Sie anlächeln. Man wird Ihnen die Hand geben, wenn sie das gewohnt sind und Ihre Hand in Richtung des Verkäufers, der Verkäuferin gehoben haben und an dieser Hand zu dem Ort führen, an dem Sie sich dem Kundesein ganz öffnen und hingeben können. Womöglich an einen Tisch. Und dieses Führen wird in der Ihnen genau angemessen Geschwindigkeit und Dringlichkeit vonstatten gegangen sein.  Jegliches Manko ihrerseits wird übersehen worden sein, und zwar geflissentlich. Flecken auf der Kleidung, fransige Hosensäume, Fadenscheingkeiten aller Art, Kratzer, Schuppen, Flechten, abgeknabberte Fingernägel, ungesunde Rötungungen der Augen, Fettleibigkeit – das alles spielt jetzt keine Rolle mehr. Der Verkäufer, die Verkäuferin wird das niemals zwischen Sie und sich bringen wollen. Auch Gerüche spielen jetzt keine Rolle mehr. Sie werden da vielleicht erst durch den nicht eine Spur zu abweisenden oder einladenden und doch intensiven Odeur Ihres Gegenüber zu einer olfaktorischen Frage gekommen sein – egal.  Auch Mundgeruch – kein Problem. Man wird ihnen ein Glas Wasser anbieten, Sie anschauen – Sie anschauen!- und…
Nach Ihren Wünschen gefragt, verblassen Sie innerlich ein wenig, Ihr Herz, ein zartes, immer gefährdetes Vögelchen mag auf seinem Zweigelein schwanken, eine geringfügige Transpiranz oder ein feines Beben der Stimme mögen Sie vom Öffnen des Sesams Ihrer Wünsche abhalten wollen - Sie gehen unaufhaltsam der Erfüllung entgegen und sprechen Ihren Wunsch aus.
Den inneren Kritikern, die sich nun mit durch diesen schmalen Lichtspalt ihrer persönlichen Paradiespforte zwingen wollen, die Sie womöglich aufhalten und zur Umkehr bewegen wollen, wird man in Ruhe noch einmal alles erklären. Man wird Ihnen Rabatte gewähren. Man wird ihnen so lange Knochen, Nebelkerzen, Beruhigungsmittel hinwerfen, bis sie satt, verwirrt und betäubt zusammenbrechen und einschlafen. Endlich schlafen. Sie selbst können ihr sogenanntes Gewissen, oder den Teil davon, der sie für unwert hält, sich jetzt und hier genau dieses zu kaufen, durch die Vorstellung entlasten, dass morgen schon, vielleicht sogar heute Nachmittag Ihr Verkäufer/ Ihre Verkäuferin auf der anderen Seite des Tisches, des Tresens, der Kasse sitz/steht und kauft, Kunde ist, so wie Sie in diesem Augenblick. Möchten Sie ihn oder sie darum betrügen, indem Sie jetzt schwanken, nörgeln und - Gott bewahre! – einen Kauf ausschlagen?
Sie nehmen es. Natürlich wissen Sie, dass Sie hier nichts geschenkt kriegen und Sie wissen auch, dass es darauf nicht im Mindesten ankommt. Sie kennen die Großzügikeit der Bedürftigen, so wie Sie die Bedürftigkeit der Großzügigen kennen und Sie gehen jetzt da durch – durch dieses Nadelöhr, in dem Geben und Nehmen eins geworden sind. Seien sie tapfer und stoßen Sie das Schwert Ihrer Kreditkarte bis zum Heft in den Rachen des Lesegeräts und jetzt raus hier.
   

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